Wald am Limit

Am Stillberg haben Forscher:innen 92 000 Bäume über der Waldgrenze pflanzen lassen.
Bergwanderung, 5 Stunden von Davos Dorf zum Jakobshorn
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Irgendwas scheint mit diesem Waldstück hoch über dem Dischmatal nicht zu stimmen. Das liegt an der Höhe: Die Baumgrenze zeichnet sich als schnurgerade Linie am Steilhang ab, aber ein Teil des Waldes folgt diesen natürlichen Spielregeln nicht. Noch rätselhafter ist sein auffälliges Muster, das mit dem tieferliegenden Wald nichts gemeinsam hat. Es wirkt, als hätten sich die Bäume in einer Art Diagonalen formiert, in einer Regelmässigkeit, die für einen Bergwald verblüfft. Was wir sehen, ist die «Versuchsaufforstung Stillberg», für die man 1975 einen immensen Aufwand betrieben hat.
Das Davoser «WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF», wie es heute offiziell heisst, hat hier in einer Höhe von 2020 bis 2220 Metern über Meer 92 000 Bäumchen in einem regelmässigen Muster gepflanzt: topfgrosse Föhren, Lärche und Arven, einzeln in den steilen Hang gesetzt. Das Hauptziel dieses Experiments lag darin, geeignete Verfahren für Aufforstungen in Lawinenanrissgebieten zu finden. Grosse Schäden, verursacht durch Lawinen, sollten so in Zukunft vermieden werden. ︎︎︎ Webseite der Versuchsaufforstung Stillberg
Archivbilder: WSL Institute for Snow and Avalanche Research SLF, Davos
 
Das System der Bepflanzung lässt sich heute noch gut erkennen und erklärt das diagonale Muster: in jede Einheitsfläche von dreieinhalb auf dreieinhalb Meter wurden in regelmässigem Abstand fünf Bäume der gleichen Art gepflanzt, also 25 Bäume auf 12 Quadratmetern. Bis 1995 wurden jährlich alle Bäume gezählt, so dass auf der gesamten Versuchsfläche das räumliche und zeitliche Überlebensmuster analysiert werden konnte.
Auf der Wanderung durch den Wald ist der mittlerweile fünfzigjährige Überlebenskampf deutlich sichtbar, den Föhren und Arven geht es schlecht, den Lärchen etwas besser. Von den ursprünglich 92 000 gepflanzten Bäumen hatten im Jahr 1982 74 Prozent überlebt, bei der letzten grossen Zustandserfassung im Jahr 2005 nur noch 30 Prozent. Mehr dazu im Bericht «Zwanzig Jahre Versuchsaufforstung Stillberg» lesen ︎︎︎ PDF.
Die europaweit einzigartige Versuchsanlage nutzt das «WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF» in jüngerer Zeit auch für Untersuchungen zu Auswirkungen des Klimawandels. In einem 2001 begonnen Experiment hat es für einzelne Baumgruppen die CO2-Konzentrationen des Jahres 2070 simuliert. Über perforierte Schläuche erhielten je zehn Lärchen und Föhren mehr CO2 als üblich. Und Heizkabel erwärmen deb Boden um vier Grad.
Die Aufforstung am Stillberg ist also ein veritables Labor. Eines, das europaweit Bedeutung geniesst und auch in den kommenden Jahren und Jahrzehnten wichtige Erkenntnisse bringen soll: 2025 wollen die Forscher:innen das nächste mal den Zustand des Waldes erfassen.


Wie komme ich hin?
Der Reiz dieser Wanderung liegt an der Vielfalt: Zu Beginn wandert man noch zwischen den Häusern in Davos, dann gelangt man gemütlich ins Dischma-Tal bis der Weg steil zum Stillberg hochsteigt. Die Tour endet auf dem hochalpinen Jakobshorn. Wer es kürzer mag, nimmt den Bus ins Dischma-Tal.

Vom Bahnhof «Davos Dorf» gehen wir zuerst zum WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF. Dazu folgen wir kurz der Bahnhofstrasse in Richtung Davosersee und zweigen über die Gleise Richtung Flüelapass ab. Nach etwa 10 Minuten entlang des Flüelabachs kommt man zu den Forschungsbauten. Dort lohnt sich ein kleiner Abstecher: Auf der rechten Seite des Hauptbaus hinter den Parkplätzen haben in den 1970er-Jahren die Forscher:innen die gleichen Baumsetzlinge gepflanzt wie am Stillberg. Welchen Wachstumsunterschied die Höhenlage ausmacht, werden wir später am Stillberg sehen.


Weiter geht es dem Flüelabach entlang bis zur ersten Brücke. Hier zweigen wir rechts auf den Bedraweg ab in Richtung «Bünda». Beim Hotel «Bünda» folgen wir den Wegweisern zur «Duchlisage», später auch auf dem Duchliweg. Jetzt sind wir am Anfang des Dischma-Tals. Bei Künzli Holzbau folgen wir den Wegweisern nach «Dürrboden».

Direkt auf den Höhenweg gelangen wir, wenn wir vis-à-vis der Gasser Baumaterialien die Kiesstrasse hochgehen. Wir gehen den Wald hoch, neben zuerst den mittleren Weg und dann den linken. Jetzt geht es nach «Teufi».

Nach etwa einer Stunde finden wir die Abzweigung «Brämabüel» und «Jakobshorn». Hier wird der Weg steiler. Bei der Stillbärgalp folgen wir dem Wanderweg hoch nach Südwesten. Beim Höhenpunkt 2023 der Landeskarte zweigen wir auf den schmaleren Weg rechts ab. Nach zwei Kehren sind wir im Forschungswald. Immer wieder sind Spuren der Forscher:innen zu finden. Wir folgen dem Weg bis er sich ganz oben etwas verliert. Nach ein paar Schritten haben wir das obere Ende des Waldstücks erreicht. Hier steht ein Materialhäuschen und eine Helikopterplattform. 

Wir folgen den Wegspuren unter der Stahlplattform. Der Weg verliert sich. Wenn wir aber auf der Höhe bleiben, kommen wir auf den offiziellen Wanderweg. Man beachte hier die aufgeschichteten «Steinplattformen». Jetzt folgen wir dem Wanderweg bis zum Jakobshorn hoch. Wir sehen ein eingezäuntes Versuchsfeld, wo Bäumchen noch härteren Bedingungen  ausgesetzt werden. Am Jakobshorn nehmen wir die Bergbahn nach Davos runter. Wir kommen gleich beim Bahnhof «Davos Platz» an.
︎ Versuchsaufforstung StillbergGemeinde: Davos
Koordinaten: 2 785 440 / 1 183 040
Höhe: 2020 bis 2220 m.ü.M.

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Bergwanderung
T3 nach ︎︎︎ SAC-Wanderskala
Achtung: Der Weg im Forschungswald ist kein offizieller Wanderweg und nicht unterhalten.

Beste Zeit: Juni bis Oktober

5 Stunden
13 km, + 1150 m, - 150 m
Start: Bahnhof «Davos Dorf»
Ende: Jakobshorn, mit der Bergbahn wieder runter bis Bahnhof «Davos Platz»

Kürzere Variante:
mit dem Bus ins Dischma-Tal ab «Davos Dorf, Bahnhof»
3 Stunden
6 km, + 900 m, - 50 m
Start: Bushaltestelle «Davos Dischma, Teufi»
Ende: Jakobshorn, mit der Bergbahn wieder runter bis Bahnhof «Davos Platz»


︎︎︎ Karte

︎︎︎ Das WSL-Institut für Schnee- und Lawinenforschung SLF in Davos bietet jeden Freitag (ausser an Feiertagen) Führungen zu ihrer Forschungstätigkeit an.